Paula

„Leben heißt, beharrlich einer Erinnerung nachzuspüren.“ Patrick Modiano

Warum und wie ich photographiere

Während eines Familienurlaubs, ich muss 11 Jahre gewesen sein, haben wir Freunde von meinen Eltern besucht. Das Treppenhaus hing voller Bilderrahmen mit großen Photos der Familie. Damals war es eher eine Ausnahme, wenn Familien eine gute Kamera besaßen und dann auch noch regelmäßig (analoge) Bilder machten. Ich empfand, dass der Familiengeschichte durch die Bilder Bedeutung gegeben wurde als würde sie sagen wollen: Du bist wichtig und das, was du erlebt hast so schön! Der Anblick dieser Wand inspirierte mich auf jeden Fall und ich nahm mir vor, dass ich später auch viel photographieren und die Bilder dann aufhängen würde.
Ich bin dankbar über jedes Photo aus meiner Familiengeschichte: ob es Momente aus meiner Kindheit sind oder auch aus dem Leben meiner Eltern und Großeltern. Sie wecken in mir Erinnerungen oder erzählen Geschichten, die ohne das Photo verloren wären: mein Opa, der mich fest im Blick hat und aufpasst, dass ich nicht zu nah ans Wasser gehe, während ich in meinen Beutel mit Brotresten für die Enten greife, meine Uroma, meine Oma, meine Mama und ich auf einem Bild und eine Szene mit meiner jüngeren Schwester, der ich in unserem damaligen Wohnzimmer etwas zu Essen gebe.
Porträt einer Fotografin
Porträt der Fotografin
Familienfoto mit vier Generationen: Urgroßmutter, Großmutter, Mutter, Kind
große Schwester steckt der kleineren Schwester etwas in den Mund
 
Zwei Dinge sollen die Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.

Johann Wolfgang Goethe

 

Seitdem ich nun selber Mama bin, haben diese Photos noch einmal an Bedeutung gewonnen. Es ist, als würden die Bilder eine Verbindung zu meinen Wurzeln herstellen und die Lebensgeschichte vervollständigen. Und genau das ist mein Antrieb, wenn ich photographiere. Ich möchte Lebenszeugnisse schaffen, mit deren Hilfe Erinnerung erweitert oder gar erst möglich macht. Wie waren die allerersten Momente mit meinem Kind? Wie das tapsige Laufen und wie die leuchtenden Augen bei einer großen Kugel Eis? Wie haben wir später Koch- und Spieleabende miteinander verbracht? 

Die meiste Zeit unseres Lebens besteht aus dem Alltag, der spätestens seit der Pandemie zum Großteil zu Hause stattfindet. Es sind die gewöhnlichen Momente, die die Kinder prägen und heranwachsen lassen, der ganz normale Alltag, in dem sie ihre Erfahrungen machen und die Welt entdecken: das gemeinsame Toben im Wohnzimmer mit dem Bruder, der Versuch, Spaghetti zu essen oder das Ablecken des Schabers voller Kuchenteig. Es ist mir wichtig, das Aufwachsen meiner Kinder auf Photos festzuhalten und ihre Kindheit zu dokumentieren.

Ich bin überzeugt, dass das Schöne und Wunderbare im Alltäglichen und Authentischen zu finden ist, im Hier und Jetzt. Photos von diesen Momenten transportieren Lebensgeschichten, weil sie Momente einfangen wie eine flüchtige Berührung, einen Blick oder eine Geste. Sie sind ein Zeugnis des Lebens, die die Erinnerung kultiviert ohne die Gegenwart und Zukunft aus dem Blick zu verlieren. Mit anderen Worten: Sie ist eine persönliche Liebeserklärung an das Leben.

zwei Kinder hüpfen von der Couch im Wohnzimmer in eine Deckenburg
Kind versucht Spaghetti zu essen und zieht die Nudeln mit der Gabel in die Luft
drei Kinder stehen in der Küche und naschen Kuchenteig